Von Hans Ottomann
Nach Jahren der genossenen Ungestörtheit im Einzelbüro war die Führungskraft in einem deutschen Konzern verunsichert, als der Tag des Open Space näher rückte. Zwar hatte er auf Geheiß von ganz oben den langen Veränderungsprozess „top down“ tapfer verteidigt, aber nun, am Tag vor dem Umzug, schwante ihm nichts Gutes. Wie sollte er sich im Open Space richtig benehmen, ohne bei seinen Mitarbeitern an Reputation einzubüßen? Würde er zum Beispiel morgens jeden Mitarbeiter persönlich begrüßen müssen, per Handschlag gar, oder würde ein kurzes Kopfnicken ausreichen? Ein anderer aus der mittleren Führungsriege erkundigte sich beim Change Management-Berater, ob er denn weiterhin morgens als erstes die Zeitung lesen dürfe. Oder ob das bei den Mitarbeitern einen schlechten Eindruck mache? Dieter Boch, der als Change Management-Consultant und Leiter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob) an eine Menge eigenartiger Ängste von Angestellten beim Auszug aus dem vermeintlichen Paradies gewöhnt ist, antwortete lakonisch, wenn das morgendliche Zeitunglesen zum Tätigkeitfeld gehöre, dann könne er das auch künftig so halten. Handele es sich aber um eine persönliche Komfortmaßnahme, dann müsse das Lesen wohl auf den Feierabend gelegt werden.
Unterschiedliche Arbeitsplätze für unterschiedliche Tätigkeiten
„Die Voraussetzung für moderne Bürokonzepte ist eine grundlegende Veränderung der Arbeitskultur. Das bedeutet, nicht nur die herkömmlichen Einrichtungs-, sondern auch die Führungsmuster zu hinterfragen und zu verändern. Die Arbeit muss befreit werden vom Misstrauen, von Regelungen, die den Menschen in zwei Klassen – in ‚Vorgesetzte‘ und in ‚Untergeordnete‘ – teilen,“ sagt Dieter Boch und setzt damit gleich den Grundstein für seine Beratungstätigkeit. Mit der Installation einer neuen flexiblen Arbeitswelt sei immer auch ein Prozess des Umdenkens verbunden. Es gehe nicht mehr darum, einen Arbeitsplatz zu besitzen: „Vielmehr birgt das neue Konzept die Chance, aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsplätzen den jeweils zur eigenen aktuellen Tätigkeit passenden auszuwählen“, so Boch. „Es bedarf Führungskräfte, denen eine gemeinschaftliche Zielerreichung wichtiger ist als persönlicher Führungsanspruch und amtsgebundene Privilegien.“
„Große Mittelschicht“ im Fokus
Jeder Wechsel ist schwer, und am schwersten ist es bekanntlich, das eigene Verhalten zu ändern. Insofern ist es eher verwunderlich, dass in aller Regel 30 % der Betroffenen einer Büro-Neugestaltung von Anfang an positiv gegenüber stehen und 50 % sich unentschlossen geben, aber keineswegs militant dagegen sind, während sich nur 15 % mit Grausen abwenden. Führungskräfte, die ihren Besitzstand wahren wollen, opponieren, wenn die Anordnung „von ganz oben“ kommt, nicht offen gegen den Change, sie müssen ihn sogar beredt gegen die anderen Mitarbeiter verteidigen. Der Chef des iafob Deutschland, das nach seinen Worten das Vorgehen beim Change Management bereits praktizierte als andere noch nicht einmal das Wort kannten, sagt, folglich müsse man als erstes die große Mittelschicht gewinnen, bevor man sich auf der Widerständigen Zähmung konzentrieren, sie zu einem Commitment zwingen, sie einbinden und zu überzeugen versuche, wenn der Wechsel ein Erfolg, mithin von den Mitarbeitern angenommen und vielleicht sogar begrüßt werden solle.
Erfolg kommt von innen
Manchmal stellt sich so ein Umgestaltungserfolg auch von alleine ein wie seinerzeit bei der Deutschen Bahn in Berlin. Dort war den Führungskräften sehr liberal die Entscheidung pro weiterhin Einzelzimmer oder Integration ins Großraumbüro überlassen worden. 51 Prozent votierten für den Verbleib in der repräsentativen, aber kommunikationsarmen Klause. Doch nach einem halben Jahr äußerten etliche den Wunsch, doch in den open space-Infopool eintauchen zu dürfen, um nicht mehr ausgeschlossen zu sein von des Bürolebens ganzer Informationsfülle. Teeküchen-Meinungen, Flurfunk, aufkommende Stimmungen – von alledem hatten sie in ihrem Einzelraum nichts mitbekommen. Sie taten daher unfroh so eine Art Dienst nach Vorschrift. „Der Erfolg ist da, wenn er von innen kommt, aus der Selbststeuerung der Organisation“, sagt Boch. Und „Erfolg stellt sich nur ein, wenn ich als Berater die Zustimmung von ganz oben habe“. Und die hat er meist, der geschäftsführende Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung GmbH (iafob), denn er steht einer noble Adresse vor, mit der man sich auch als Großer gern identifiziert. Hervorgegangen aus der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und mit dieser nach wie vor verbandelt – die iafob Schweiz ist an der iafob Deutschland beteiligt – betreibt sie eine eher selten anzutreffende Verknüpfung von Arbeitsforschung und Organisationsberatung. Letztere umfasst u.a. die Umsetzung von Change Management, um dem Beratungskunden zu einer humanen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Unternehmensentwicklung zu verhelfen, wobei überdies auf eine sozialverantwortliche Gesellschaftsintegration geachtet wird. Dieser Gedanke beherrscht auch das f.o.n., das Flexible.Office.Netzwerk, eine Aktivität des iafob, das sich zum Ziel gesetzt hat, jene Erfahrungen, die auf dem Weg zu einer flexiblen Office-Landschaft gewonnen werden, exakt zu sammeln und auszutauschen, um Erkenntnisse für neue Projekte zu gewinnen. „Die iafob, vor allem die iafob Schweiz“, sagt Boch, „betreibt Grundlagenforschung zum Thema Arbeit.“
Lebenslanges Lernen, Kultur und Gesundheit
In diesem Zusammenhang erinnert die iafob an die alte Forderung vom ständigen, lebenslangen Lernen. Natürlich, sage jeder Berufstätige, das sie eine wichtige Erfolgsvoraussetzung. Doch richtige Lernwelten im Büro seien ebenso wenig anzutreffen wie organisatorisch angemessene Voraussetzungen. Bei alledem setzt das in Anzing bei München ansässige private Institut vor allem auf drei bemerkenswerte, in dieser Form anderweitig nicht anzutreffende systemische Eigenschaften, nämlich zum einen auf die Möglichkeiten, das lebenslange Lernen der Mitarbeiter zu fördern und zu verbessen, zum anderen auf den Faktor Kultur, zum dritten auf die Gesundheit der Mitarbeiter. „Wir betrachten jede Neugestaltung nicht nur nach dem Motto ‚Ihr braucht neue Möbel oder andere Wände‘, sondern wir berücksichtigen alle anderen Aspekte, die für den Unternehmenserfolg von Bedeutung sind: natürlich die Hard Facts, die komplette Arbeitsumgebung mit Licht, Luft, Layout und Akustik, aber eben auch Gesundheit, Führungskultur, Architektur“.
Neue Erkenntnisse durch Evaluierung
Mit Gesundheit meint iafob nicht nur Rücken und Steiß. Die Psychologen der iafob Schweiz erforschen die psychomentalen Interdependenzen und beraten ganzheitlich, ob und wie sich eine neue Arbeitsumgebung positiv auf das Stressverhalten auswirkt. Und wenn denn die iafob eine neue Arbeits- und Kulturumgebung geschaffen hat, dann wird – auch ein Alleinstellungsmerkmal – evaluiert: vier Wochen nach Fertigstellung und ein zweites Mal nach einem halben Jahr. Das goutieren die Firmen nicht. „Einmal entschieden ist einmal entschieden“, meinen sie. Sie möchten nicht noch einmal über alles nachdenken. Aber die iafob gewinnt dadurch eine Menge neuer Erkenntnisse – Erkenntnisse, die stets im Rahmen einer Jahrestagung offen dargelegt werden: den 20 f.o.n.-Mitgliedern wie Hoffmann-La Roche, Schweizer Bundesbahn, Siemens, Münchner Rückversicherung, Rehau, Hettich, WINI… sowieso, aber auch offen interessierten Gästen aus den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft.
Diagnose, Zielformulierung, Lösungskonzeption, Umsetzung sowie der Ergebnis- und Wirkungsevaluation: Dies alles sind eine Menge Alleinstellungsmerkmale, mit denen das iafob auf dem Sektor der Arbeits- und Organisationswissenschaften punkten kann.
Jahrestagung im November
Seine nächste Jahrestagung 2015 – zugleich der 57. Workshop des f.o.n – veranstaltet das iafob übrigens am 26. November in Bern. Unter dem Motto „Vom Schreibtisch zum Büro der Optionen“ geht es dabei um „die Evolution von Arbeitsräumen zu Manufakturen des Wissens“: Ausgehend vom Status Quo soll hier der Blick in die Zukunft gewagt werden – konzeptionell und vor dem Hintergrund von Architektur, Sozial- und Arbeitswissenschaft und der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. Als Referenten hat das iafob hier u.a. den Sprecher des „Future Work Forums“ Peter Thomson im Gepäck.
Einen Blick in die Zukunft werfen darüber hinaus
- Prof. Dr. Lukas Windlinger von der ZHAW in Zürich („Soziale Nachhaltigkeit im Workplace Management“),
- der „Arbeitsweltverbesserer“ Guido Rottkämper vom Leipziger Innenarchitekturbüro design2sense („Partizipation erschafft motivierende Denkräume“),
- der FFC-Consultant Eckard Foltin („Erlebniswelten der Zukunftsarbeit“) und
- Dr. Peter Geißler von Communardo Sorftware Dresden („Digital workplace – Work smart“).
Praxisberichte kommen u.a. von der Schweizerischen Bundesbahn, der Basler Versicherung und Microsoft Schweiz.
iafob - Jahrestagung 2015: Vom Schreibtisch zum Büro der Optionen
Die Evolution von Arbeitsräumen zu Manufakturen des Wissens
26. November 2015 | 9.00 bis 17.15 Uhr | Hilfikerstraße 1, Bern-Wankdorf/Schweiz
Programm und Anmeldeformular unter www.iafob.de